Das Fraglose unter Verdacht

Bemerkungen zu neueren Arbeiten von Ralf Peters

Unsere Welt ist dabei sich ordentlich einzurichten: Unsere Städte werden weiter auf- unsere Feindbilder weiter abgebaut, Deutschland wird in Kürze 'wiederhergestellt' sein. Und schon jetzt ist abzusehen, wo unsere Zukunft liegt: so friedlicher strahlt unsere Welt voller Stolz, Schönheit und gutem Geschmack. Unsere Welt gefällt sich. Leider aber ist sie nicht überall so wohl gestaltet, nicht ganz so widerspruchsfrei aufgeräumt, wie es uns von manchen Seiten glauben gemacht wird und wie es uns selbst so angenehm wäre. Je perfekter wir unsere komplexere Welt gestaltet sehen, je harmonischer sich in unseren Augen unser immer anspruchsvolleres Zusammenleben entwickelt, - desto mehr scheinen einfachste natürliche Dinge aus dem Gleichgewicht zu geraten, drängen wesentliche Probleme auf ihre Lösungen. Je fester sich die Begriffe fügen, um so fraglicher werden ihre Bedeutungen. Und all das, was wir so gut im Griff zu haben glauben, droht im Würgegriff dieser Fraglosigkeit unterzugehen. Wie aber geht man in einer sich perfektionierenden Welt um mit dem Wissen um Scheinbarkeit und Zwiespältigkeit dieser Perfektion? Wie kann man sich mit unguten Gefühlen beschäftigen, da man doch damit beschäftigt sein sollte, sich ihrer zu schämen - angesichts einer solch schönen Welt. 'Das Paradies ist jetzt', verkündet verdächtig laut dieser Titel einer Plastik von Ralf Peters : Auf Dünnbrett - Sockel ragt diese Verheißung als übermannsgroßer Pfeiler empor, dessen leichtstrukturierte Seitenverkleidung in modisch edlem Petrolgrün speckig glänzt. Der Pfeiler - einst vornehmes Symbol des Stützens - gebärdet sich hier wie ein aufgeblasener Popanz, - kann er doch nicht mehr tragen und bieten als den indirekten Blick in ein hohles Kapitell, darin ein liegender Kelch in falscher Vergoldung um Bewunderung buhlt. Hier umarmt uns die Illusion leeren Reichtums und zweifelhafter Prächtigkeit, hier strangulieren - uns Werte, die uns 'mit allen Mitteln' ein Paradies versprechen, das verlogener nicht sein kann. So stellt sich schon bald Enttäuschung ein: Das Pathos des Bedeutsamen entlarvt sich als billige Travestie, der Pokal bleibt unerreichbar, das Paradies ereignet sich nicht. Sollte hier etwa eine Verwechslung vorliegen? Peters montiert die Stilmittel unserer über satten Gegenwart zu einem Monument für eine derzeit herrschende Ästhetik, wie sie uns etwa in der bombastischen Selbstgefälligkeit eines Trump - Tower oder anderer Mamor - und Messingarchitekturen westlicher Großstadtpassagen, so genannter Einkaufs - Paradiese, überfällt. Das Paradies ist jetzt, und gleichzeitig glaubt man, das rieselnde Geräusch künstlicher Wasserfälle wahrzunehmen, und die süßen Töne subliminaler Musik.

Ästhetische Maßstäbe zu setzen, ist eine Aufgabe des Künstlers - des Architekten wie des Malers. Als Diktator über diese Gesetze wirkt der Künstler lächerlich. Sowohl politische als auch künstlerische Systeme gewinnen nur, wenn sie in Bewegung bleiben und sich Fragen stellen lassen können, und verlieren deswegen doch nichts von ihrer Gültigkeit, wohl aber von ihrer End - Gültigkeit. Peters 'Hommage an Gerhard Merz' hat mit dem Werk des gleichnamigen Münchner Künstlers nur insofern etwas zu tun, als sie ein bewußtest Mißverständnis desselben darstellt: Die Hommage ist der zum Scheitern verurteilte Versuch einer Nachahmung. Die Kunst von Gerhard Merz und anderer mag gradlinig und ganz und gar nicht dilletantisch sein, mag die Moderne konsequent fortführen. Gleichzeitig aber führt sie sie - und so empfindet nicht nur Ralf Peters - an einen Punkt, an dem sie in Atemnot gerät und zu ersticken droht. Denn da, wo Maßstäbe endgültig gesetzt und Begiffe erstarrt sind, wird die Luft für andere Kunst dünn, nahen Stillstand und Tod. Und was ist das für eine armselige Welt der Absuluten Werte, aus der das Unedle, das Unschöne, das Unsichere, das Unschickliche, das Ungeschickte - und die Selbstironie verbannt sind?

Die Hommage sollte daher weder destruktive Attacke noch als simple Parodie verstanden werden. Sie simuliert vielmehr ein Kunstwerk 'nach Merz' und offenbart, daß nach ihm ein solches kaum mehr entstehen und noch weniger bestehen kann. Die Hommage an Gerhard Merz ist ein 'schlechtes Kunstwerk'.

Eher beklemmende Gefühle erzeugen auch vier trommelartige Körper von - in diesem Zusammenhang - wenig appetitlicher Farbe, die in Unterleibshöhe des Betrachters an der Wand befestigt sind. Doch sie sind nur Vorwand und Einstimmung. Denn tritt der Betrachter zurück, wird ihm bewußt, zu weit gegangen zu sein: Er stößt an eine Kordel, aufgehängt zwischen zwei blitzblankpolierten Messingstäben, die seinen Standpunkt kurzfristig verunsichert; doch augenblicklich wird die rote Kordel als Hoheitssymbol erkannt und anerkannt, als Requisit eines Rituals der Ehrfurcht, als Absperrung für eine Schutzzone des Unnahbaren, innerhalb derer man sich nun unberechtigterweise aufzuhalten glaubt. Die Kordel gebietet Abstand sowohl im räumlichen Sinne, indem sie ein unbedachtes Herantreten verhindert, als auch in einem geistigen Sinne mit der Vorführung edler Materialien und Farben, die indirekt den Wert des innerhalb der Zone befindlichen zu Schützenden erhöht und damit gleichzeitig den Betrachter auf die unterste Stufe einer Werte-Skala verweist. Die Einbeziehung des Betrachters verwandelt sich hier nach einander in Vereinnahmung, Ausgrenzung und Abwertung. Wenngleich wir es wissentlich mit einem Kunstwerk zu tun haben, haben wir die Bedeutung eines Symbols übernommen, ohne uns nach seiner Berechtigung an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt gefragt zu haben. Fraglos haben wir uns einem Ritual unterworfen. Ästhetische Systeme können auch als Metaphern für politische gesehen werden, auch für Ralf Peters stehen sie in unmittelbarem Austausch. So etwa wird ein Suchplakat der Kriminalpolizei aus dem funktionalen Zusammenhang mit einer Fahndungsaktion gelöst und als unabhängiges Bildsystem verstanden. Nur folgerichtig bezeichnet er die Steckbriefe, deren Druck nach einem Fahndungserfolg eingestellt wurde, als Edition, da ihre Auflage nun limitiert ist. Das Foto, das Ralf Peters für seine Edition Albrecht verwendet, stammt von einem solchen Fahndungsplakat. In dem Metallrahmen und hinter dickem - Panzerglas fixiert zeigt es das Unzählig oft reproduzierte Portrait der mutmaßlichen Ex - Terroristen Susanne Albrecht, die im Sommer 1990 in der DDR festgenommen wurde. Rechts neben ihr klebt ein Stück roten Teppichbodens, den kleine Sterne zieren, Zeichenfragmente der Revolution zum niedlichen - biederen Ornament verkommen. Einer verhärteten Standarte gleicht das querrechteckige Format des Kunstwerks, seine geringe Größe dagegen läßt Gedanken an eine heroische Aussage nicht zu. Und Trotzdem ist die Edition Albrecht unpassend. Aber auch an den Lebensumständen der Susanne Albrecht ist vieles unpassend. Die Studentenrevolutionäre der ausgehenden 60 er Jahre, Ulrike Meinhof und ihre Sympathisanten waren Stacheln im Fleisch einer Gesellschaft, die sich nicht zu ihren Widersprüchen bekennen wollte. Susanne Albrecht gehörte nicht zu ihnen. Trotzdem verstand auch sie sich als Revolutionären. In blinden Fanatismus für eine bessere Welt terrorisierten sie und andere den verhaßten Staat aus dem Hinterhalt mit ihren Idealen, die als solche bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Dialoge waren nicht mehr möglich, das Manöver endete im Aus. Welche Gründe und Erklärungen es auch immer dafür geben mag: Plötzlich beendeten Susanne Albrecht und die anderen ihre bisherige Identität, schlüften nahtlos in eine neue und doch alte Welt, integrierten sich fraglos in genau jene Gesellschaft, mit der so unwiderruflich gebrochen und im scheinbar unauflösbaren Widerspruch gestanden hatten. Mit der Verhaftung einer ehemaligen Terroristen ist eine Diskussion nicht abgeschlossen, bleiben viele Fragen offen: Fragen danach, wie sich dieses Leben tatsächlich zugetragen hat, nach dem Selbstverständnis einer Frau, die bewußte Entscheidungen getroffen hat, nach ihren Gefühlen und ihren Werten, Fragen danach, welche Zwänge sie beherrschte und in welche sie sich selbst begab, nach ihrer Fähigkeit zur Verdrängung und der Tragik, ein zu ihrem bisherigen völlig komplementäres Leben zu führen, nach den Gefühlen der Erleichterung, es beenden zu dürfen, Fragen nach ihren Fragen.

Bildwirklichkeit und politische Realität verweben sich auch in einem schmalen, waagerechten an der Wand angebrachten Stab, der bei genauerem Hinsehen die Farben schwarz, rot und gelb trägt, die allerdings niemals zusammen und einheitlich in Erscheinung treten, da jeweils nur kaum mehr als ein Drittel der Stab - Oberfläche sichtbar ist. Gesehen als schwarz - rot - gelb, lesen sich die Farben als schwarz - rot - gold, können als die deutschen Farben identifiziert werden. Sie versinnbildlichen Begiffe wie Nation und Einheit, stehen für Vorstellungen und Nationalgefühl und Einheit. Sie sind Hoheitssymbol und Symbol unserer nationalen Identität. Historisch können heute allerdings Herkunft und Bedeutung dieser Symbolfarben nicht mehr unbedingt erklärt werden, eine Zuordnung von Begriffen und Farben läßt sich nicht mehr eindeutig vornehmen. Was aber ist das für eine Identität, die ihre Symbole nicht mehr zu deuten weiß? Und wie ist Identität in einer Zeit möglich, in der gerade - ihre begrifflichen Inhalte ins Wanken geraten sind und einer Überprüfung und Neu - Ordnung entgegensehen? Wie können Begriffe noch verwendet werden, wenn deren Inhalte fragwürdig geworden sind?

Ebenfalls um Identität geht es bei der Arbeit mit dem Titel Patrona Bavariae. Bezeichnet der Titel eine Leitfigur, signalisiert zwischen den Zeilen den Stolz auf eine eigene Tradition und fordert Erfurcht vor der Vergangenheit, ist die Plastik selbst nicht anderes als ein deformierter Klumpen, wie aus Lehm zusammengeknetet, ein lächerlicher Alptraum, der bestenfalls noch an einen Babyschnuller erinnert. Sie wäre eine als Personifikation des 'Großkopferten' anzusehen als mit einer Schutzherrin des Freistaats (Bayern) in Verbindung zu bringen, wenn hier überhaupt eine Identifizierung angebracht ist. (Möglichweise mag es da jedoch Verbindungen geben, die einem Nicht - Bayern nicht so schnell geläufig sind.) Im Regelfall versagen vor dem Amorphen die Begriffe, der Gegenstandslosigkeit droht die Begiffslosigkeit; hier jedoch wird ein Begriff zum Angriff. Problematisch ist bei dieser Arbeit, daß sich ihre Spannung lediglich im Widerspruch zwischen einem begriffsträchtigen - Titel und einer begriffsschweren Form entwickelt, daher ohne Wissen um den Titel nicht verständlich ist.

Systemvorstellungen, Größenverhältnisse und Machtspiele der internationalen Mächte reflecktiert der kleine "Eckenbumms". Peters stellt darin einen Begriff wie Nationalstolz, den Anachronismus des international immer noch verbreiteten Mißtrauens oder derzeit erlebte Verwandtschaften zwischen Großmacht und Kleingeist zur Diskussion. Entstanden in der Beobachtung der unmittelbaren Reaktionen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf das 'neue Deutschland' bezieht die Arbeit ihren Witz aus einer aktuellen politischen Situation und begrenzt sich dadurch selbst.

Nicht immer verraten die Arbeiten von Ralf Peters ihre Schlagrichtung durch Titel, nicht immer geben sie in der Verwendung von Ready mades eindeutige Anhaltspunkte, die sie mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit in Verbindung bringen. Daneben gibt es auch Werke, die direkte Hinweise verweigern, die sich entziehen, die den Betrachter alleine lassen. Sie fordern nicht nur Offenheit - sie sind auch selbst offen und lassen dies den Betrachter gehörig spüren. Die unbekannte Größe ist in diesen Fällen aber nicht das Kunstwerk, sondern der Betrachter selbst. da es an ihm ist, Gesehenes zu benennen, sich für Begriffe zu entscheiden und diese mit Bedeutung zu besetzen. Dieser Prozeß kann sich als schwierig, vielleicht unlösbar gestalten, wenn sich etwa in der Arbeit Gegensätzliches so eng verbindet, daß es im Asschnitt zwar noch erkannt, im Zusammenhang aber nicht artikuliert werden kann. Wenn die Verbindung zwischen Zielgerichtetheit und Umweg, zwischen Freiheit und Bestimmtheit, Entschluß und Intuition, Dynamik und Statik, Farbe und Form Abweichung oder Unterscheidung oder Gemeinsamkeit oder Abhängigkeit oder Übereinstimmung oder Gegensatz oder wechselseitige Ergänzung heißen kann - oder alles zugleich, verschwindet die Beziehung zwischen dem zu Bezeichnenden und seiner Bezeichnung, versagt als Lösung des Problems der 'goldene Mittelweg'. Eine solche Arbeit schließt sich formal an die früheren Arbeiten an, gewinnt aber in ihrer Parallelität zu den klarer politisch motivierten Werken neue Sinnzusammenhänge.

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Die neueren Arbeiten Ralf Peters fassen deutlicher als früher Maßstäblichkeiten, Kraft - und Größenverhältnisse, Abstände, Werte oder Wertigkeiten nicht als Bestandteile systematischer physikalischer oder mathematischer Kategorien auf, nicht als fixierende Systemgrößen, sondern verstehen sie als Möglichkeit für die Diskussion ethischer Begriffe und für den Umgang mit politisch - gesellschaftlichen Zuständen.

Trotz kritischer Haltung spricht aus den Arbeiten von Ralf Peters weder Larmoyanz noch Resignation oder Hohn. Scharf aber zugleich stets selbstkritisch treten sie der Unbedingtheit fraglos gewordener Maßstäbe entgegen, stellen sich Ordnungen der Welt in den Weg, die vorgeben, keine Fragen zu haben.

Bernhart Schwenk im August 1990