Lichtbilder der Ökonomie
|
|
Stets bemühen sich Soziologen, Künstler,
Philosophen und Psychologen um das Verstehen von gesellschaftlichen
Konditionen und Prozessen. "Aber was die Macht ist, weiß
man wohl noch immer nicht. Und Marx und Freud genügen uns vielleicht
nicht zur Erkenntnis dieser so rätselhaften Sache, die zugleich
sichtbar und unsichtbar, gegenwärtig und verborgen ist, die überall
ihre Hand im Spiel hat, und die man die Macht nennt. Die Theorie des
Staates, die traditionelle Analyse der Staatsapparate erschöpfen
das Aktionsfeld der Macht zweifellos nicht."0 Seit dem 19. Jh.
hat die Politik mit Ausnahme der Gegenbewegung des Marxismus ihre Rolle
als das übergeordnete System verloren. Die Ökonomie trennte
sich ab, aber auch die Wissenschaft und die Künste bekräftigten
ihren Autonomieanspruch. Die Massenmedienentwickelten ihr Eigenleben.
"Die Entzauberung des Staates in der nachmodernen politischen Theorie
entsubstantialisierte den Machtbegriff. Auch das politische System schien
mehr nach dem System des Tausches in Netzwerken als nach dem Prinzip
einer herrschaftlichen Machtpyramide organisiert zu sein."1 Trotz
dieser Tendenz bleibt die Politik das wichtigste Subsystem zur Steuerung
der Gesell-schaft. Die Politik bildet jenes System, das weitgehend die
Verhältnisse bestimmt, während die Medien, die Sicht auf die
Verhältnisse bestimmen. Die Bedeutung des Wortes "Telekratie"2
gewinnt immer mehr an Konturen, seit die jüngsten, historischen
Ereignisse in Osteuropa zeigten, daß die Einnahme der TV-Sendezentralen
den Sieg in politischen Auseinandersetzungen bedeutet. Mit beiden Systemen,
der Politik und den Medien, setzt sich Ralf Peters in zahlreichen Arbeiten
auseinander, nicht im Sinne einer theoretischen Analyse, sondern als
visuell-sinnliche Manifestation.
1. Materielle Kommentare
Poltische Kunst heute, von Mark Dion bis Hans Haacke,
funktioniert nicht mehr in abbildhafter Form. Kritische Inhalte werden
als Metaphern dargestellt, als Allegorien heterogener Elemente, die
mehrfache Bedeutungen zulassen, und die erst auf einer zweiten Ebene
der Codierung ihre politischen Konnota-tionen enthüllen. So operiert
auch Ralf Peters in seinen gesellschaftskritischen Arbeiten mit den
verschiedensten Mitteln - Farbe, Skulptur, Objekt, Fotografie etc. -,
die dem Künstler gegenwärtig zur Verfügung stehen. In
einem Glaskubus laufen sechs kleine Ventilatoren (Abb.S.35,37). Durch
die Abgeschlossenheit des Raumes scheint eine sinnvolle Nutzung dieser
Ventilatoren, zum Luftaustausch oder zur der Produktion einer angenehmen,
kühleren Temperatur, als völlig ausgeschlossen. "Zur
Frage der passenden Ventilation gehen die Meinungen radikal auseinander.
Es scheint unmöglich, allen zu gefallen. Es ist indessen unser
Ziel, den Wünschen der Mehrheit entgegenzukommen. Der Lenker dieses
Fahrzeugs wird gern dementsprechend angeregt; ihrer Mitarbeit wird gebührend
geschätzt werden." Diesen Text eines Aufklebers in New Yorker
Taxis mit der Überschrift "Ventilation" versah Marcel
Duchamp mit der Unterschrift "DADATAXI. Limited" und veröffentlichte
ihn als appropriiertes Kunstwerk in seiner Zeitschrift "New York
Dada". Duchamp gehörte zusammen mit Picabia zu den Erfindern
der "unsinnigen" Maschinen in der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Ihre dysfunktionalen Apparaturen füllten sie mit sexuellen oder
philosophischen Inhalten. Auch die Arbeit von Ralf Peters ist einer
dieser offensichtlich "unsinnigen" Apparate. Im Ventilatorenwürfel
"O.T." wird in einem engen Raum lediglich viel Luft um Nichts
gemacht.
Die "Edition Albrecht" (Abb.S.11) ist einem
der wichtigsten Feinde des parlamentarischen Systems in Deutschland
gewidmet. Das Werk existiert in einer Auflage von 15 Stück. Die
Materialien dieser kleinen Assemblagen bestimmen bereits ihren Inhalt,
die Gegensätze von Bürgertum und gewaltsamen Anar-chismus:
der rote Teppichboden mit den grauen Sternen, die wie verblaßte
Symbole des Anarchismus erscheinen, das Panzerglas, das zum Schutz von
wertvollem Besitz oder für Politikerfahrzeuge verwendet wird, das
Foto von Susanne Albrecht, das für die Fahndung nach den Terroristen
benutzt wurde, und der Metallrahmen, der mit Hilfe des Teppichbodenstoffes
das Gesicht der Frau in die linke Ecke zu zwängen scheint. Peters
reflektiert nicht nur in dieser Arbeit, wer eigentlich wen und wie in
der postmodernen Gesellschaft terrorisiert.
Gleichsam als Reaktion auf die Vereinigung beider Teile Deutschlands
oder besser auf die Vereinnahmung des Kleineren durch das Größere
schuf Ralf Peters 1990 eine Arbeit, die aus einem 200 cm langen, dünnen
Metallstab besteht (Abb.S.6). Dieser wurde vom Künstler zu gleichen
Teilen in den Farben Schwarz, Rot, Gelb bemalt. Die deutsche Flagge
ist zur Linie geschrumpft, und die drei Farben können von dem Betrachter
nur am Stabende gleichzeitig betrachtet werden. Diese Wahrnehmungssituation
entspricht der Einheit eines Staates, die künstlich erscheint und
deren innere Zerrissenheit durch den äußeren Anstrich verborgen
wird. Mit Skepsis beäugt Ralf Peters das wachsende Nationalbewußtsein,
nicht nur in Deutschland. Zudem weist der Künstler darauf hin,
daß die deutsche Fahne gewöhnlich falsch, d.h. in den Farben
Schwarz, Rot, Gelb und nicht Gold dargestellt wird, und damit bereits
in der wichtigsten visuellen Repräsentation der deutschen Nation
jener Moment der Ambivalenz und Täuschung steckt. Schon Ludwig
Wittgenstein erklärte: "Man redet von der 'Farbe des Goldes'
und meint nicht Gelb. 'Goldfarben' ist die Eigenschaft einer Oberfläche,
welche glänzt oder schimmert. (...) Der Unterschied zwischen Schwarz-Rot-Gold
und Schwarz-Rot-Gelb, - Gold gilt hier als Farbe."3
Wesentliche Konflikte in der Welt werden heute durch Nationalitäten-
und Religionsstreit bestimmt. Quasi als Gegenentwurf zur Fragmentarisierungsten-denz
der Weltordnung produzierte er als utopisches Konzept ein Denkmal des
Internationalismus. Auf transparentem Gummi (Abb.S.39,41) druckte er
vielfach in fünfzehn Zeilen die vier Begriffe "Weltuniversität",
"Weltgericht", "Welt-parlament" und "Weltmuseum".
Die Schrift ist wie im Zeitalter vor dem Buch gerollt und umgibt einen
Metallstab. Diese Metallachse brachte der Künstler in jener schiefen
Stellung an die Wand an, in der auch die Weltachse die Erdku-gel durchdringt.
Ralf Peters wirft mit künstlerischen Mitteln die Forderung nach
der Einführung von Instanzen auf, die weit effektiver als die mit
nur geringen Befugnissen ausgestatten Organe der UNO die dringenden
Probleme der Welt zu lösen vermögen.
Der Golfkrieg sollte eine von den USA dirigierte Weltordnung herstellen.
Doch bleibt es fraglich, ob durch einen Krieg mit Hunderttausenden von
Toten und Umweltschäden unbekannten globalen Ausmaßes eine
dauerhafte Friedens-ordnung geschaffen werden kann. Die Befürworter
eines Staates nach den Richtlinien des Koran lassen sich nicht durch
militärische und ökonomische Mittel von ihrem Glauben abbringen.
In Ralf Peters' Arbeit "Body Bag" wird ein Sack wie ein Toter
in einem Sarg aufgebahrt. Er stellt eine Rekonstruktion des Leichensacks
dar, den die amerikanischen Truppen zur Aufbewahrung und zum Transport
ihrer eigenen Opfer vorgesehen hatten - für den Künstler ein
Symbol für die Massen an eingeplanten Toten dieses Krieges. Der
Behälter ist eine perverse Kuriosität der Realität, die
jene Menschenverachtung verkörpert, die einem hochtechnologisierten
Krieg dieses Ausmaßes zu Grunde liegt. Der Sack ist eine Nachbildung
entsprechend der Beschreibungen dieses "Body Bags" in den
Medien. Er wurde gemäß der vorhandenen Angaben hergestellt
und zum wesentlichen Bestand-teil eines Kunstwerks transformiert. So
bildet der "Body Bag" kein Exemplar der Objektkunst, sondern
ist in seiner erschreckenden Gegenwärtigkeit eine Imitation eines
realen Gegenstandes.
Auch schon in früheren Arbeiten wie "Rechtsdrehende Eier"
(1989) (Abb.S.8) versuchte Ralf Peters mit heterogen Ausdrucksmitteln
politische Entwicklungen zu hinterfragen. Ein in schwarze Farbe getauchtes
Nest ist im spitzen, unteren Winkel eines hölzernen Dreiecks postiert.
Die durch den Titel gegebene Erwartung, darin Eier zu finden, wird nicht
erfüllt. Die Form des Dreiecks wirkt bedrohlich und erinnert an
den roten Keil, den die Weiße Armee schlägt, auf El Lissitzkys
berühmten Revolutionsplakat. Bei Peters stößt die Spitze
des Keils auf den Boden der Realität. Die Meanderverzierung des
Dreiecks ist als Verweis auf den häufigen Gebrauch klassizistischer
Motive in der nationalsozialistischen Architektur zu verstehen. "Rechtsdrehende
Eier" entstand zu einer Zeit, als rechtsradikale Gruppierungen
mit zweistelligen Prozentzahlen bei Kommunalwahlen die Stadtparlamente
deutscher Großstädte eroberten. Ein Werk, das als Mahnung
fungiert.
2. Der verstellte Blick
Ludwig Wittgenstein befaßte sich mit Hilfe einer
gedanklichen Konstruktion mit der Wahrnehmung von Farben, nicht um eine
Theorie der Farben (weder eine physiologische, noch ein psychologische)
zu finden, sondern um eine Logik der Farbbegriffe zu erstellen: "Im
Kino kann man manchmal die Vorgänge im Film so sehen, als lägen
sie hinter der Leinwandfläche, diese aber sei durchsichtig, etwa
eine Glastafel. Das Glas nähme den Dingen ihre Farbe und ließe
nur Weiß, Grau und Schwarz durch. (Wir treiben hier nicht Physik,
sondern betrachten Weiß als Farbe ganz wie Grün und Rot)
- Man könnte also denken, daß wir uns hier eine Glastafel
vorstellen, die weiß und durchsichtig zu nennen wäre. Und
doch sind wir nicht versucht, sie so zu nennen."4
Vor ausgewählten Portraits von Politikern des Bayerischen Landtags
(Abb.S.27,29) setzte Ralf Peters eine halbtransparente Opalplexiglasscheibe,
die wegen ihrer weißen Einfärbung an eine Milchglasscheibe
erinnert. Durch die semiopake Eigen-schaft dieses Materials kann man
die Personen kaum mehr erkennen. Auch die Namen unter den Fotos sind
nicht mehr zu lesen. Nur genaue Personenkenntnis gepaart mit einem guten
Assoziationsvermögen kann zu einem erfolgreichen Erraten der Politikerpersönlichkeit
führen. Durch das Plexiglas wird der gewohnte Blick auf die Politiker
verstellt und die Rezeption der Images dieser in der Öffentlichkeit
stehenden Personen in Frage gestellt. Die Irritation des Betrachters
ermöglicht hier eine Reflexion über die visuelle Präsentation
von Politik im Allgemeinen.
Für die Arbeit "Names" (Abb.S.519 verwendete Ralf Peters
wieder jenen halbtransparenten, gelb gefärbten Gummi, den er auch
schon für die Arbeit "Body Bag" benützte. Das Material
läßt kein scharfes Sehen auf die dahinter liegenden Dinge
zu. Es ist seltsam, daß gerade Waffen wie Messer oder Schwert
mit dem Sehen die positive Eigenschaft "Schärfe" teilen.
Was ein Blick enthüllen kann, kann ein Messer öffnen. Doch
der Gummi verhindert dieses scharfe Sehen, vernebelt gleichsam die Konturen
der Schrift, die sich dahinter befindet. Wie durch eine verkehrte Brille
oder wie ein Betrunkener blickt man auf den Text, ohne ihn richtig erkennen
zu können. Eine Behinderung in der Wahrnehmung, die im Kopf schnell
zu einer tiefen Verunsicherung führt. Erst bei intensiver, längerer
Betrachtung kann man das Wort "Namen" in englischer und -
so vermutet man - in arabischer Sprache lesen. Der semiopake Gummi bildet
eine anschauliche Metapher auf das Zukurz- und Zuvielsehen, auf die
Abwehr der Bilderflut. Paul Virilio beschreibt, daß in den westlichen
Ländern immer mehr Menschen Sonnenbrillen tragen, um sich gegen
die Angriffe auf die Netzhaut zu schützen.5 Ein bewußtes
Verdunkeln und Entschärfen des Blicks kann so nur als Gegenbewegung
zu den immer schärferen Monitoren, lichtstärkeren Objektiven
und helleren Projektoren gewertet werden. Der beschriftete Gummi bildet
bei "Names" die Deckplatte eines Quaders, der an einen Sarkophag
erinnert. Ralf Peters schuf die Arbeit zur Zeit des Golfkriegs. Sie
stellt ein Modell für ein Monument der Opfer beider kriegsführenden
Parteien dar, und unterscheidet sich damit grundsätzlich von den
konventionellen Kriegerdenkmälern, die nur die Toten der eigenen
Seite ehren. "Names" ist zudem eine Reminiszenz an das 1982
von Maya Ying Lin konzipierte "Vietnam Memorial" in Washington,
auf der ausschließlich die Tausenden von Namen der amerikanischen
Gefallenen eingetragen sind. Gerade den Verzicht auf heroischen Pathos,
Patriotismus und Monumentalität schätzt Peters an diesem Werk.
In "INCONCRETO INABSTRACTO" (= das Konkrete, das Abstrakte)
(Abb.S.47,49) ist es die verdreht Ordnung, das Hintereinander statt
des Nebeneinanders, welche die Lesefähigkeit verringert. Sehen
und Lesen werden aufeinander bezogen. Die einzelnen Lettern jedes der
beiden Wörter wurde auf Glasscheiben angebracht und hintereinander
postiert. Nicht zum Wahrnehmen, aber zum Lesen muß sich der Rezipient
vom gewohnten Be-trachterstandtpunkt frontal zum Kunstwerk lösen.
Denn nicht vom geraden, sondern nur vom seitlichen Blick können
die Buchstaben zu Wörtern zusammengesetzt werden. Beide Wortreihen
sind im schiefen Winkel, jedoch in entgegengesetzter Richtung angeordnet.
Während die Glasplatten des Wortes "INCONCRETO" auf einem
Regalwinkel stehen, also eine feste Basis besitzen, hängen die
Scheiben von "INABSTRACTO" ohne erkennbare Halterung an dem
Winkel. Das Abstrakte entspricht nicht der gewohnten Wahrnehmung von
Materie, sondern ist ein Produkt des Geistes. Es scheint als hätte
Peters mit seiner Arbeit diese komplexen Begriffe materialisiert.
3. Der unverhoffte Einblick oder das Spiel mit dem Voyeurismus
In Ralf Peters Werk "LIFE" (Abb.S.17,19) blickt
der Betrachter durch ein kleines Guckloch auf den Bildschirm eines Fernsehappartes,
der ein gerade laufendes Programm zeigt. Zunächst noch nichts vollkommen
Ungewöhnliches, doch zwischen dem Auge des Rezipienten und dem
Monitor schob der Künstler 56 Scheiben, das sind 28 cm geschichtetes
Glas, das durch eine halbkugelförmige Konstruktion verborgen wird.
Obwohl es sich hier um das Material Glas handelt, wird der Augenstrahl
durch die Vielzahl der Scheiben so stark gebrochen, daß der Betrachter
von dem Geschehen auf dem Bildschirm kaum mehr etwas identifizieren
kann. Der Voyeur wird enttäuscht, er kann fast nichts erkennen.
Die Konturen, der sich am Monitor bewegenden Figuren scheinen sich aufzulösen.
"Obwohl wir das Licht der Geschwindigkeit ebensowenig verbergen
können wie die Sonne mit unserer Hand verdecken, wird die Transmission
bewegter Bilder und die Transmission bewegter Körper doch so schnell
auseinandertreten, daß sich bald niemand mehr über die durch
die Schnelligkeit hervorgerufenen Sehstörungen wundern wird: die
lokomotorische Täuschung wird als Wahrheit des Sehens gelten, genauso
wie die optische Täuschung als Wahrheit des Lebens gilt."6
Der durch die zahlreichen Vermittlungsebenen gestörte Blick ist
der reale Blick. Theo Kneubühler geht soweit, zu behaupten, daß
das Kunstwerk gerade die Aufgabe hat, die Erkenntnismöglichkeit
zu erschweren, um weiterführende Reflexionen in Gang zu setzen:
"Durch die Tatsache, daß das Bild nicht denkbare Konfigurationen
zu erzeugen vermag, sagt es der Erkenntnis: Schau genauer, es gibt andere
Möglichkeiten, die du nicht gesehen hast, nicht bedacht hast."7
In einer anderen Arbeit muß sich der Betrachter in eine kreisförmige
Anordnung (Abb.S.21,23,25) stellen. Darin sieht er nicht ein Rundbild,
etwa ein Diorama, sondern 36 Löcher gleichen Abstands in einer
Metallkonstruktion. Sie laden ein, hineinzulugen. Was der Rezipient/Voyeur
in einem Rundgang bei einem Blick durch jedes Loch erkennen kann, sind
Aufnahmen, die der Künstler bei einem Rundgang mit der Fotokamera
um ein jeweils unterschiedliches Objekt hergestellt hat. Der zyklische
Ablauf wird in einen linearen verwandelt, indem die Dias in einer Röhre
hintereinander angeordnet wurden. Das Einkreisen eines Gegenstandes
ist so kaum zu erkennen. Der Versuch der Kubisten ein Objekt von seinen
verschiedenen Seiten zu visualisieren, unternimmt Ralf Peters mit den
Möglichkeiten des technischen Mediums Fotografie. Der Wunsch, einen
Sachverhalt in seiner Verschiedenheit vollständig zu erfassen,
findet hier seinen ungewöhnlichen Ausdruck.
4. Der getäuschte Blick
"Verdoppelung des Sehens: ist das soetwas wie eine
zwiefache Optik oder zwiefache Semantik, einmal eher vom Auge her, vom
Vordergrund des Darü-bergleitens mit den Haltepunkten, Anhaltspunkten
und ihren Verbindungen, Verwebungen, welche gesehen werden, ohne daß
sie sich einprägen, ohne zum bewußten Inventar der Bilder
zu werden, sozusagen Überlegungen des Auges - das anderemal eher
vom Echo her, das im Hintergrund des Bildes widerhallt, um etwas sehen
zu lassen, das ich nicht sehe, besser, das ich nicht dort sehe, wo ich
hinsehe? Vielleicht so: ich sehe etwas, weil ich etwas anderes sehe,
oder weil ich zugleich etwas sehe, das ich nicht sehe. Ein verzerrender
Spiegel, der mir ein Schlüsselloch zeigt, obwohl es eine Wasser-lache
ist, einen Augenblick sehe ich deutlich das Schlüsselloch, um danach
ebenso deutlich die Wasserlache zu sehen. Ist diese zwiefache Optik
oder zwiefache Se-mantik nicht eine grundlegende Mechanik des Sehens?
Erscheinung und Gestalt, Erscheinung und Erwartung, Erscheinung und
Name, Er-scheinung und Abwesenheit eines Namens?"8
Kneubühler differenziert zwischen dem tatsächlichen Sehvorgang
und der Wahrnehmung, das fixen Ideen verhaftet ist. Die Darstellung
des Unterschieds zwischen Sehen und Wahrnehmen bildet den Ausgangspunkt
neuester Arbei-ten von Ralf Peters. Wenn er den Blick des Betrachters
unbemerkt lenkt und täuscht, geht es vorwiegend nicht um die Faszination
an den optischen Phänomenen.
Ralf Peters evoziert in einer seiner neuesten Arbeit einen Durchblick
(keine Abb.), der unvermutet nicht gerade, sondern durch ein kompliziertes
Spiegel-system geleitet im Kreis verläuft. Die unbemerkte Manipulation
des Sehens, wie sie tagtäglich in den Massenmedien geschieht, wird
hier auf künstlerische Weise demonstriert. Nur der aufmerksame
Betrachter erkennt vielleicht an kleinen Unstimmigkeiten, daß
sein Blick gelenkt wird.
Der Spiegel scheint das geeignete Medium zu sein, über Sehgewohnheiten
zu reflektieren. In Ralf Peters Werk "Bilder" (Abb.S.59,61)
wird jedes von der Frontalität abweichende Sehen mit Verzerrungen
und Sprüngen im Spiegelbild bestraft. Peters montierte zu diesem
Zweck fünf verschieden große Spiegel-flächen übereinander.
Von der Seite kann der Betrachter die Kanten der aufgeklebten Spiegelteile
erkennen, stellt er sich aber der Arbeit frontal gegenüber, verschwinden
die Ränder, die einzelnen Facetten verfließen zu einem einzigen
Spiegelbild. 5. Zu den Bedingungen des Kunstgenusses
Zum Kunstgenuß gehören zwei: das Kunstwerk und der Rezipient.
Ralf Peters greift in seiner Arbeit "Rezipient" (Abb.S.55)
die doppelte Bedeutung dieses Wortes auf. Rezipienten nennt man nämlich
nicht nur eine Person oder Sache, die etwas betrachtet, aufnimmt oder
empfängt, sondern in der Physik auch eine Glasglocke mit Ansatzrohr
für eine Vakuumpumpe zum Herstellen eines luftleeren Raums. Doch
vielleicht sind beide Bedeutungen gar nicht so verschieden voneinander,
wie es auf dem ersten Blick erscheint. Ralf Peters geht von der Vorstellung
aus, daß um so "leerer" ein Kunstrezipient ist, desto
aufnahmebereiter ist er für ungewohnte sinnliche Erlebnisse. Eine
ideale Situati-on, die im Grunde höchstens bei Kindern existiert.
Ralf Peters Arbeit funktioniert wie ein Ready-Made von Marcel Duchamp,
d.h. sie kann sich in ihrem Werkcharakter erst in einem als Kunstraum
ausgewiesenen Topos entfalten. In einem technischen Museum würde
die Glasglocke in einer Vitrine niemanden in Erstaunen versetzen, in
einer Kunstausstellung jedoch verbindet jeder der Besucher mit dem Begriff
"Rezipient" sich selbst und versucht eine Verbindung zwischen
sich als Kunstbetrachter und der Form des dreidimensionalen Kunst-werks
herzustellen, ohne im Normalfall von der physikalischen Bedeutung des
Wortes zu wissen. Die Rezeption wird zur Falle.
Auf einer Konfrontation von Begrifflichkeit und Seherlebnis basiert
ebenfalls die Arbeit "Ästhetik" (Abb.S.31,33). Ein Raum
wird durchmessen und gestaltet von einer transparenten Leiste, auf der
die Erklärung des Wortes "Ästhetik" nach "Meyer`s
Enzyklopädie" geschrieben steht. Die lexikalische Erläuterung
dieses Begriffes vollzieht sich hier jedoch nicht im Rahmen eines Buches,
sondern als Rauminstallation. Damit entsteht eine seltsame Tautologie.
Denn das, was mit Worten auf einer intersubjektiven Ebene erklärt
wird, schafft Ralf Peters auf einer subjektiven Ebene mit den Mitteln
des Künstlers. Will der Rezipient den Begriff "Ästhetik"
auf der Ebene der Schrift verstehen, muß er sich der Disposition
des Künstlers unterwerfen und an der Leiste entlangschreiten. Wer
lesen will, muß gehen. Auf der Ebene der bildenden Kunst dagegen
kann der Betrachter Ästhetik ad hoc erfahren. Denn die Strukturierung
durch das Schriftband erzeugt ein in besonderer Weise sinnlich wahrnehmbares
Raumerlebnis. In der Gegenüberstellung von Text und Bild scheint
letzteres in bezug auf seine Nutzung deutliche Vorteile zu besitzen.
"Illusion der Farbe" (Abb.S.53) bildet den Abgesang des Künstlers
an die Malerei. Für Ralf Peters ist es in der derzeitigen Situation
der Kunst undenkbar, in konventioneller Weise mit Pinsel und Farbe zu
hantieren. Die einzig mögliche Auseinandersetzung mit Farbe bildet
für ihn die Chromatographie, die auf einem chemischen Vorgang beruht.
Auf den unteren Rand eines Büttenpapiers zog Ralf Peters einen
schwarzen Strich. Das Papier wurde in Alkohol getaucht, der aus dem
Schwarz die Farben Blau, Rot und Gelb herauszieht. Dieses farbige Bild
präsentiert Peters nicht an der Wand, sondern steckt es zur Konservierung
in einen transparenten Behälter, als sollte es für spätere
Zeiten sicher aufbewahrt werden.
Ein Rahmen, der gerade an der Wand hängt, ist die Voraussetzung
für die richtige Präsentation eines Bildes. Das wichtigste
Instrument für eine gute Hän-gung ist die Wasserwaage. Sie
repräsentiert das durch die Gravitation gesetzte Regulativ, das
die "richtige" Präsentation von Bildern bestimmt. Ralf
Peters montierte vier Wasserwaagen (Abb.S.57) zur Idealform des Quadrats.
Er nannte die Arbeit "Der Nabel der Welt" und schuf damit
ein Paradox. Denn verschiedene Orte nehmen diese Titulierung, die im
Kern einen Machtanspruch bedeutet, aus verschiedenen Gründen in
Anspruch, während das Werk von Ralf Peters auf jedem beliebigen
Punkt der Erde in gleicher Weise präsentiert werden kann. Seine
Konstruktion ist so angelegt, daß die Seiten des Quadrats austauschbar
sind. Sind sie "im Wasser", so stimmt die Arbeit. Hängt
es an der Wand, sieht es aus wie ein Rahmen, dem das Bild fehlt. Doch
der "Wasser-waagenrahmen" ist das Bild. Oder ist es beides?
Auf jeden Fall werden von Ralf Peters mit dieser Arbeit die gewohnten
Kategorien von Bild, Rahmen und realem Gegenstand für die Rezeption
von Kunst in Frage gestellt. Manche werden das Werk als leer kritisieren,
die einfache Konstruktion und den minimalen handwerklichen Aufwand bemängeln.
Doch jene begreifen nicht die Tragweite seiner ästhetischen Fragestellungen,
welche die Definitionsproble-matik von Kunst verschärfen, und die
unumgänglich sind für einen Künstler, der in der Gegenwart
nach neuen, adäquaten Ausdrucksmitteln Ausschau hält. Arthur
C. Danto schreibt über den signifikanten Unterschied zwischen einem
Alltagsobjekt und einem Kunstwerk, das auf Alltagsobjekten basiert:
"Meine Ansicht ist die, daß ein Kunstwerk sehr viele Eigenschaften
hat, ja sogar sehr viele, die von ganz anderer Art sind als die jener
materiellen Objekte, die von ihm zwar unterscheidbar, aber selbst keine
Kunstwerke sind."9 Diese spezifischen Eigenschaften, von denen
Danto berichtet, entstehen dadurch, daß jedes Kunstwerk, auch
wenn es wie "Der Nabel der Welt" und andere Arbeiten von Ralf
Peters lediglich aus Alltagsgegenständen besteht, ein ästhetisches
Argu-ment innerhalb des historisch bedingten Kunstdiskurses darstellt.
So kann ein Gegenstand die Intentionen eines Künstlers aufzeigen
und verdeutlichen, auch wenn er sich äußerlich von einem
nicht als Kunstwerk deklarierten Gegen-stand überhaupt nicht unterscheidet.
1 Foucault, Michel, Gespräch mit Gilles Deleuze.
Die Intellektuellen an die Macht, in: ders., Von der Subversion des
Wissens, Frankfurt/Berlin/Wien 1978, S. 135
2 Beyme, Klaus von, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert.
Von der Moderne zur Postmoderne, Frankfurt am Main 1991, S. 23
3 Vgl. Weibel, Peter (Hg.), Von der Bürokratie
zur Telekratie, Berlin 1990
4 Wittgenstein, Ludwig, Bemerkungen über Farben,
in: ders., Über Gewißheit, Werkausgabe Bd. 8, 4. Auflage,
Frankfurt am Main, 1990, S. 20 u. 36?
5 Wittgenstein, Ludwig, Bemerkungen über Farben,
S. 18
6 Vgl. Virilio, Paul, Ästhetik des Verschwindens,
Berlin 1986, S. 57f
7 S. ebd., S. 56f
8 Kneubühler, Theo, Wahrheit ist einfach, Bild
ist Täuschung ..., in: ders., Wegsehen, Berlin 1986, S. 86
9 Kneubühler, Theo, Denklagen des Sehens, in:
ders., Wegsehen, S. 64f
10 Danto, Arthur C., Die Verklärung des Gewöhnlichen,
Frankfurt am Main 1991, S. 148
Justin Hoffmann
|