Antje Harries zur Ausstellung in Lüneburg
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"Zwischendurch" lautet der Titel
einer Ausstellung, die im 'Museum für das Fürstentum Lüneburg'
stattfindet. Dieses Museum war ursprünglich eine Ritter-akademie,
die 1656 gegründet wurde und der Erziehung und Bildung von Adelssöhnen
diente. Nachdem sich dieses Bildungskonzept Mitte des 19. Jahr-hunderts
überholt hatte, drohte der Akademie, die inzwischen eine beträchtliche
Sammlung besaß, die Schließung. Eine Vereinsgründung
zur 'Erhaltung und Darstellung der Altertümer und Kunstwerke der
Stadt Lüneburg und des Klosters Lüne' und ein Jahr später
die Gründung eines 'Naturwissenschaft- lichen Vereins', verhinderten
die Auflösung der Sammlung. 1891 wurde das Museum ein privates
Vereinsmuseum, als das es noch heute besteht.
Ein großer Teil der ständigen Sammlung des Museums setzt
sich zusammen aus profanen Gegenständen aus der Ur- und Frühgeschichte,
Kunsthandwerk, Karten, Globen und sakraler Kunst. Ein historischer Überblick
und Einblick in die Kulturgeschichte der Region Lüneburg und Umfeld
wird vermittelt.
Zwei Räume nutzt Ralf Peters in der Ausstellung "Zwischendurch",
um einen Dialog zwischen Altem und Neuem, Regionalem und Überregionalem
herzustellen. Im Raritätenkabinett, das aus einer Sammlung von
kostbaren Materiali-en, Kuriositäten und naturwissenschaftlich
zu erforschenden Gegenständen besteht, steht der "Body bag"
(Abb.S.43,45). Peters' Arbeit entstand anläßlich des Golfkrieges.
Sie besteht aus einem Body bag, der dem Transport von Leichen dienen
könnte, was dem realen Einsatz im Kriegsfall entspricht. Ver-packt
ist der Body bag in einem Kunststoffbehälter, der auf einem Gestell
befestigt ist, abgedeckt durch eine von Klemmen gehaltene Gummifolie.
Nicht der unmittelbare Gebrauch, die Funktionalität des Gegenstandes
steht im Vordergrund, sondern die potentielle Möglichkeit des Einsatzes.
Allerdings erhält sie einen absurden Anstrich, denkt man an die
hervorgehobene Präsentation des Body bags. Bei der Frage, warum
diese Arbeit einen Standort im Raritätenkabinett bekommt, stößt
man auf die Kuriositäten, die dort ausgestellt sind. Ein Bezug
könnte darin bestehen, daß die Arbeit von Peters selbst ein
Kuriosum ist. Durch die Verpackung des Body bags wird sein unmittelbarer
Gebrauch negiert, ohne daß der Verweis auf die Möglichkeit
des Einsatzes verloren ginge. Die politische Dimension der Arbeit ergibt
sich, wenn man sich den Zweck des Body bags vor Augen führt. Er
dient zur Heimführung der Gefallenen im Krieg. Wie ein Mahnmal
liegt der Body bag in der Verpackung. Der Einsatz impliziert die Aktualität
einer kriegerischen Auseinandersetzung. Peters verbannt in diesem Fall
den Body bag in ein Raritätenkabinett, um der Hoffnung auf das
Ver-schwinden kriegerischer Auseinandersetzungen Ausdruck zu verleihen.
Während die Sammlung des Raritätenkabinetts einen stark regionalen
Bezug aufweist, verweist der Body bag auf das Überregionale. Die
Abgeschlossenheit der unmittelbaren Umwelt wird durchbrochen durch die
überregionalen politischen Ereignisse. Die Annahme, es handele
sich bei diesen politischen Ereignissen um die Belange des Anderen,
da die Einflußnahme nicht unmittelbar spürbar wird, ist für
Peters eine Täuschung, da durch ihre Präsenz und Relevanz
die eigene Umwelt geprägt wird.
Die andere Arbeit (Abb.S.21,23,25) von Ralf Peters befindet sich in
einem quadratischen Raum, in dem die Ebstorfer Weltkarte1 ausgestellt
ist. Im Mittelpunkt der 3.50 x 3.50 m großen Karte, die als die
'bedeutendste und reichhaltigste Erddarstellung des europäischen
Mittelalters' gilt, liegt Jerusalem als Nabel der Welt. Drumherum gruppiert
liegen Asien, Europa und Afrika. "Die Karte zeigt die Erdoberfläche
als Schauplatz mythischer und biblischer Ereignisse, als Demonstrationsfeld
von Geschichte. Sie bildet Weltanschauung ab und ist im eigentlichen
Wortsinn ein 'Weltbild' ".
Die Arbeit von Ralf Peters, die sich in der Mitte des Raumes befindet,
besteht aus einem Stahlgestell auf sieben Trägern, auf dem in Augenhöhe
eine kreisförmige Kastenform montiert ist. Eine Öffnung ermöglicht
dem Betrachter den Zutritt in den Kreis. Von dort aus kann er in 36
Gucklöcher sehen, die gleichmäßig in der Kastenform
angeordnet sind. Hinter jedem Einblick befinden sich mehrere hintereinandergestellte
Dias, die einen Gegenstand oder einen Ort aus vielen Perspektiven zeigen.
Im Zusammenblick können also verschiedene Perspektiven wahrgenommen
werden. Mit dieser Arbeit wird gerade im Kontext der Ebstorfer Weltkarte
die Pluralität von Weltsichten reflektiert, ohne jedoch den Anspruch
auf Objektivität vorzutäuschen. Die Subjektivität der
Wahrnehmung, die in unserer säkularisierten Zeit konstituierend
ist, wird dem Betrachter vergegenwärtigt. Er befindet sich in dem
Kreis, bildet das Zentrum. Während die Ebstorfer Weltkarte ein
christlich geprägtes und geschlossenes Weltbild vermittelt, zeigt
die Arbeit von Peters die Disparität von Welt.
Daß die Welt nicht vollkommen erforschbar ist, ist ein weiterer
Aspekt der Arbeit. Das Umrunden des Gegenstandes, das Einkreisen und
Eingrenzen, wie es der Blick durch die Gucklöcher suggeriert, ist
zirkulär und letztendlich nur vom Standort des Betrachters heraus
verständlich. Das Erkennen der Subjekti-vität führt zur
Besinnung auf das Selbst.
1 Das Original der Ebstorfer Weltkarte verbrannte im
2. Weltkrieg. Bei der im 'Museum für das Fürstentum Lüneburg'
ausgestellten Karte handelt es sich um eine Kopie'.
Antje Harries
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