Rede Christoph Blase |
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Eröffnungsrede zur Ausstellung "Temperatur
der Räume" von Ralf Peters am 27.10.1995, 20.00 Uhr, Städtische
Galerie Nordhorn
Unkorrigiertes Redemanuskript. Nicht zum Abdruck freigegeben.
Guten Abend, meine Damen und Herren
Sie stehen hier heute abend in einer Ausstellung, die
sich aus unterschiedlichen Werkphasen des Künstlers Ralf Peters
zusammensetzt. Einige der Werke kann man mit dem üblichen Begriff
des Kunstwerkes bezeichnen, sie hängen an der Wand, jedes einzelne
steht für sich, sie sind vollendet. Einen weiterer Teil dieser
Ausstellung zeigt zwar Werke, aber diese Werke sind nicht komplett zu
erfassen, zu ihnen gehört noch etwas, daß sie wissen müssen,
und das sie wonders sehen können. Trotzdem funktionieren diese
Werke im Rahmen einer Ausstellung. Und noch ein weiterer Teil sind Objekte,
die sie zwar sehen, die sie hier heute abend begutachten können
und sie werden sicherlich auch ihre Freude daran haben, die aber gleichzeitig
unter Umständen wieder verschwinden werden, weil der Künstler
sie eigentlich nur braucht, um damit etwas anderes zu erreichen. Daß
hier irgendetwas im Prozeß ist, haben sie vielleicht auch schon
daran bemerkt, daß dort oben in der Ausstellung ein Arbeitstisch
steht. Es ist jedoch nicht der Fall, daß die Ausstellung nicht
fertig geworden ist und der Künstler jetzt da oben in den nächsten
Wochen noch weiter arbeiten muß, es ist nicht der Fall und es
ist doch der Fall. Allerdings war es von Anfang an so geplant und gewollt.
Sie haben mit dieser Ausstellung die seltene Gelegenheit, den Künstler
inmitten seiner neuesten Werkphase und inmitten seiner Idee zu erleben.
Lassen Sie mich das bisher Gesagte Punkt für Punkt
erläutern, und die Verwirrung, die es vielleicht hervorgerufen
hat, wird sich wahrscheinlich nach und nach auflösen.
Zunächst zu den fertigen Kunstwerke. Sie hängen,
als Farbfotos, edel gerahmt, hier hinter mir. Im ersten Moment erkennen
sie ein paar Plüschtiere, im zweiten Moment kommt Ihnen der Gedanke:
"Irgendwie habe ich das schon einmal gesehen", und dann lesen
Sie vielleicht die Titel und es fällt Ihnen wie Schuppen von den
Augen: "Casper David Friedrich" steht da, "Wanderer über
dem Nebelmeer" oder "Velasquez": "Bildnis der Königin
Marianne von Österreich", auch das "Triadische Ballet"
von Oskar Schlemmer werden Sie finden, kurzum berühmte Werke der
Kunstgeschichte und gewissenmaßer auch Erinnerungen aus der Kindheit
jedes Künstlers. Denn jeder Künstler hat einmal so angefangen,
daß er andere Kunst gesehen hat, die ihn in jungen Jahren sehr
beeindruckte. Diese sogenannten Kindheitserinnerungen des Künstlers
verbindet Ralf Peters nun mit den gängigen Kindheitserinnerungen
von mehr oder weniger jedem von uns. Ich bin sicher, viele von Ihnen
werden sich noch an ihren ersten Teddybären, an ihren ersten Stoffhasen
erinnern können. Ein Künstler kann sich mindestens genau so
gut zurückbesinnen auf das erste Kunstwerk, daß er heiß
und innig geliebt und immer wieder angeschaut hat. Wir haben es hier
also mit einer, natürlichen auch lustigen und etwas ironischen,
Hommage auf die berühmten und bis heute starken Werke der Kunstgeschichte
zu tun.
Nun zu den Arbeiten, die vorhanden sind, ausgestellt
sind, aber bei denen es noch etwas gibt, daß Sie nicht sehen.
Gemeint sind jene Arbeiten aus der Serie der "64 Modelle",
jedes verpackt in Plastikfolie, so daß man es kaum noch erkennen
kann. Zusätzlich sind sie mit einem Aufkleber versehen. Sie finden
diese Arbeiten hier oben am Beginn und am Ende des Ausstellungsraumes.
Die Verpackungen beinhalten Modelle, allesamt aus Pappe gebaut, und
die Modelle beinhalten Ideen. Mit Ideen sind hier Konzepte für
Kunstwerke gemeint, die gleich ganze Räume umfassen. Durch das
Plastik können Sie manchmal noch so ein wenig davon erkennen. Der
Aufkleber auf der Verpackung sagt ihnen dafür um so genauer, was
sie nur ungenau sehen können. Dort lesen Sie dann zum Beispiel:
"Auf mehreren Monitoren ist eine Diskussion zu sehen, wie man sie
von den unzähligen "Talkshows" aus dem Fernsehen kennt.
Die Anzahl der Monitore entspricht dabei der Anzahl der Teinehmer. Der
Mittschnitt wurde so bearbeitet, daß jedem Gesprächsteilnehmer
ein Monitor zugeteilt ist. Die Person, die spricht wird ausgeblendet,
...man sieht auf dem betreffenden Monitor dann nur ein schwarzes Bild.
Teilnehmer, die nicht reden, sind zu sehen." Stellen Sie sich einen
solchen Raum einmal vor, die Monitore stehen alle im Kreis, aber sie
hören die Talkshow nicht, Sie sehen sie nur. Und sie sehen noch
nicht einmal, was gesprochen wird, sie sehen nur, was geschwiegen wird.
Solche Dinge finden Sie also in den Verpackungen, wenn
Sie sie auspacken
würden, was sie jedoch nicht dürfen, es sei denn, sie kaufen
ein solches
Werk. Sie können sich den Inhalt, das Modell allerdings auch in
einem
Katalogbuch anschauen, daß alle 64 Modelle enthält, gewissermaßen
ein
Katalog der Modelle und Ideen. In diesem Katalog sehen Sie fast mehr
als
durch die Plastikverpackungen hindurch. Ralf Peters hat also seine
Ausstellungsinstallationen realisiert als Modell, sie anschließend
durch
Fotos dokumentiert und sie dann wieder eingepackt. In der Dokumentation
erkennt man zwar, daß es sich um Modelle handelt, aber oft hat
man den
Eindruck, daß man tatsächlich Fotos einer echten Ausstellungsinstallation
sieht. Der Künstler hat sich somit auf das konzentriert, was oft
bei dieser
Art von Kunst, die sehr starkt auch vom Raumbezug lebt, bleibt, eben
die
Dokumentation auf der einen Seite und die erste Skizze auf der anderen
Seite. Denn Sie finden oben an der langen Wand eine Reihe von kleinen
Zeichnungen aufgestellt, die jeweils eines dieser Modelle kurz skizzieren.
Jede Zeichnung existiert fünf Mal, allerdings ist es kein Druck,
es sieht
nur so aus. In Wirklichkeit wurde jede Zeichnung neu durchgepaust von
der
ersten. Also haben wir es auch hier mit etwas zu tun, daß so aussieht
als
ob, es aber in Wahrheit nicht ist. Es ist nicht die erste schnelle Skizze
im Original, sondern es ist ihre Vervielfältigung, dies allerdings
nicht in
einem Druckverfahren, sondern wiederum von Hand. Sie merken vielleicht
schon, diese Ausstellung und diese Kunst spielt auch mit den Regeln
des
Kunstbetriebes. Sie thematisiert das Verschwinden des Kunstwerkes und
liefert gleichzeitig doch eines. Dazu gehört auch, daß es
für die 64
Modelle zwei Preisklassen gibt. Für den niedrigen Preis bekommen
Sie ein
Modell samt Verpackung, so wie sie dort oben liegen. Für den höheren
Preis
erwerben Sie dazu noch das Urheberrecht an der künstlerischen Idee
und
damit das Recht, das Modell auch tatsächlich zu verwirklichen.
Ganz nebenbei noch bemerkt, haben sie übrigens durch Zufall dort
oben in
der Ausstellung einen Bezug zwischen dem Raum und den Zeichnungen. So
wie
der Teppich auf dem Boden liegt, ist die Farbe hier über die Zeichnung
aufgebracht, was allerdings nur der Fachmann erkennt. Und die Farbe
des
Teppichs korrespondiert zufällig mit dem Farbüberzug auf den
Zeichnungen.
Insofern ist es also gut, daß es diesen Teppich noch gibt.
Wenden wir uns nun den großen Modellen zu, die in der Mitte des
Raumes
stehen und an denen teilweise noch gearbeitet wird. Sie sind eine
Weiterentwicklung der verpackten Modelle, werden allerdings nie verpackt
werden, sondern sie werden für etwas ganz anderes gebraucht. Es
geht darum,
die Dokumentation der Ausstellung, die Dokumentation der Idee, die
Dokumentation der Kunst, zu verfeinern. Handelte es sich bei den ersten
Modellen um nicht existierende Räume, frei entworfene Räume,
so stellen die
jetzigen Modelle real existierende und mehr oder wenige bekannte
Ausstellungsorte dar. Sie haben vielleicht die zukünftige Städtische
Galerie in Nordhorn erkannt, daneben haben wir noch den Kuppelsaal in
der
Kunsthalle Hamburg, den Freiburger Kunstverein, den Raum des Kölnischen
Kunstvereins sowie einen Saal aus dem Frankfurter Museum für Moderne
Kunst.
In diese Architekturen, hier nachgebaut in unterschiedlichen Maßstäben,
von 1:15 bis 1:22,5, pflanzt Peters nun seine Installationsideen als
Modell maßstabsgetreu ein. Für Hamburg ist eine transparente
Glasscheibe
quer durch den Raum geplant, auf der kleine Fernsehbilder zu sehen sind,
in
Nordhorn werden sich zwei riesige Stoffrollen gegeneinander drehen,
sich
elektrisch aufladen und sich in kleinen Blitzen wieder entladen, in
Köln
soll es eine Lautsprecherinsallation sein mit drei Geprächen, die
sich an
einer Schiene gezogen durch den Raum bewegen. So soll es sein, aber
es wird
nie so sein.
Denn die Modelle benötigt Ralf Peters einzig und
allein, um die
Dokumentation herzustellen. Die Modelle sind Filmkulissen für eine
Kunstdokumentation, wenn auch sehr interessante und schöne Filmkulissen,
die auch eigenständig eine gewisse Wirkung auf den Betrachter entfalten.
Doch geschaffen wurden und werden sie zur Zeit vor allem deshalb, damit
eine kleine Kamera durch sie hindurchfahren und die Modellinstallation
so
aufnehmen kann, als würde sie sich tatsächlich in diesem Raum
befinden.
Diese Bilder von der Installation, von der Kunst, werden dann wieder
zusammengebracht mit Aufnahmen, die in den wirklichen Räumen, allerdings
dann im leeren Zustand, gedreht werden. Noch ist es nicht soweit. Es
wird
auch zunächst einen Zwischenschritt mit Fotos geben. Aber wenn
es in
einigen Monaten so weit sein wird, werden zwei Sorten von Material
vorliegen: Die Videobilder aus den Modellen mit den Kunstwerken als
Modelle
dortdrin und die Aufnahmen von den wirklichen Orten. Beide werden dann
über
digitale Bildbearbeitung am Computer zusammenschmelzen. Und herauskommen
wird ein Video, ein Film, der absolut realistisch aussehen wird, eine
Dokumentation über Kunstinstallationen und Ausstellungen von Ralf
Peters,
die so tatsächlich nie stattgefunden haben.
Oder vielleicht doch? Denn das Werk von A bis Z, und
das ist eine ganze Menge penibler Arbeit, erst am Modell, dann in den
echten Räumen, schließlich am Computer, nicht zu vergessen
die künstlerische Idee überhaupt, und alles muß zueinander
passen, also von A bis Z ist es das Werk des Künstlers Ralf Peters.
Und er entwickelt damit tatsächlich Kunstwerke, bis auf den kleinen
Punkt, daß er die Realisierung im Maßstab 1:1 überspringt,
aber gerade das gehört ja nicht zu diesem Kunstwerk. Ralf Peters
bewegt sich also nicht im realen Raum, was er aber auch schon wieder
ad absurdum führt, denn er ist ja hier und seine Ausstellung ist
auch hier, und wir eröffnen diese Ausstellung gerade, aber letztendlich
ist sein Ziel, und sie werden diesen Begriff sicher schon gehört
haben, der virtuelle Raum, die virtuelle Realität.
Ich möchte Sie jetzt nicht langweilen mit der Diskussion
darüber, was es mit all dem, was man so allgemein Neue Medien nennt,
auf sich hat, ich will auch nicht diskutieren, ob die Kunst verschwinden
wird, sie wird übrigens nicht verschwinden, aber es ist unbestreitbar,
daß auf diesem Gebiet zur Zeit höchst Interessante Dinge
geschehen. Und Ralf Peters ist einer der wenigen Künstler, die
sich in diese Richtung bewegen. Er tut dies ganz langsam, Schritt für
Schritt, er kündigt nichts an, was er nicht einhalten kann. Er
überprüft, was ist brauchbar von der einen Welt, um möglichst
sinnvoll in die andere zu gelangen. Und so könnte es sein, daß
in absehbarer Zeit die interessantesten virtuellen Ausstellungen von
Ralf Peters kommen. Und eine diese Ausstellungen wird die beiden Stoffrollen
in der neuen Städtische Galerie in Nordhon zeigen, das Modell haben
sie dort oben, das wahre Kunstwerk werden sie eines Tages völlig
woanders sehen.
Und mit dieser Aussicht danke ich Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.
Christoph Blase
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