Susanne Weiß Modell 36 (Bimetallstreifen)  

Einst stand im Museum ein Thermograph, ein unauffälliges Gerät, das jede Schwankung der Temperatur registrierte. Jede Regung in seinem Innern übertrug der Bimetallstreifen auf den Schreibhebel, welcher sie präzise aufzeichnete. Dies alles geschah im Dienste der Kunst. Denn Kunst zu bewahren, das hieß, sie vor Veränderungen zu bewahren. Lauwarm sollte es sein, und Stille sollte herrschen; im Hintergrund nur das leise Ticken des Thermographen. Es kam aber die Zeit, da die Kunst begann, sich gegen ihre frühzeitige Konservierung zur Wehr zu setzen. In einem energischen Befreiungsakt entfloh sie den wohltemperierten Hallen. Angesteckt von der heiteren Aufbruchsstimmung, zu zaghaft jedoch, dem Beispiel der Künstlerkollegen zu folgen, machte der brave Schreiber den leeren Arbeitsplatz zu seinem Aktionsraum. Bereitwillig ließ sich der Bimetall-streifen einspannen und als Saite wild bespielen. Rund ging's im Museumsraum, der von rauhen Klängen widerhallte. Je heißer es herging, desto schriller jubilierte das Metall. Es war ein wahres Fest. Doch hatte auch diese Ausbruchsphase bald ein Ende, als die Kunst nämlich, erschöpft von den Exzessen draußen auf der Straße und in entlegenen Lokalen, reumütig in die klimatisierten Säle zurückkehrte. Nun trat hier wieder Stille ein, sanft durchbrochen lediglich vom leisen Ticken des Thermographen. Nur manchmal nachts, wenn einer heimlich den Rekorder einschaltet, werden Erinnerungen wach an längst vergangene Zeiten.

Susanne Weiß